Die einen nennen es Zauberei, die anderen: Tensegrity. So heißt nämlich das raffinierte Konstruktionsprinzip, mit dem man Dinge zum schweben bringen kann. Eine Technik, die auch im Ideas-Entwurf „Floating Island“ von Seb_E Anwendung fand: Allen Regeln der Schwerkraft zum Trotz scheint die kleine Insel mit dem malerischen Schloss über die graue Stadt hinwegzugleiten. Hoch hinaus ging es für die Floating Island nun auch auf LEGO Ideas. Dort flog sie allen Konkurrenten davon und sicherte sich mit der 10.000. Unterstützerstimme den Review-Einzug.
Farblos und trist kann das Leben in der Stadt sein. Wie schön wäre es da, all der Hektik zu entfliehen und auf seinem eigenen kleinen Schloss in den Wolken hinfortzuschweben? Auch wenn das wohl nicht so einfach möglich ist, der Anblick der Floating Island lässt uns davon zumindest ein wenig träumen.
Über einer 16×16-Platte gebaut, fliegt die Insel über eine Stadtszenerie hinweg. Idyllisch geht es hier oben zu: Ein Schloss aus mehreren Türmen thront majestätisch zwischen einem kleinen Wald und einem vor sich hin plätschernden Fluss. Abgerundet wird das in satten Farben gebaute Ambiente von einer Windmühle und einem Dörfchen. Im Kontrast dazu: Die graue Stadt. Trostlos und deprimierend wirken die Wolkenkratzer und man wünscht sich, so schnell wie möglich der Beton-und-Glas-Wüste zu entkommen.
Designer Seb_E weiß in seinem 500 Teile starken Microscale-Modell gekonnt mit Gegensätzen zu spielen: Oben die bunte, fröhliche Insel über den Wolken, unten das dunkle, freudlose Stadtleben. Die Symbolik ist unverkennbar und fängt perfekt ein, was so mancher stadtmüder Mensch gedankenverloren vor sich hin träumt.
Highlight des Entwurfs ist aber unbestritten der Schwebeffekt. Ohne eine Verbindung aus LEGO-Steinen wird die Insel allein von fünf Seilen in der Luft gehalten. Das Konstruktionsprinzip, das sich der Designer hier zunutze macht, bezeichnet man als „Tensegrity“, ein Kofferwort aus „tension“ (Spannung) und „integrity“ (Zusammenhalt).
Was genau ist Tensegrity?
Der Versuch, Tensegrity eingängig zu definieren, geht dabei in den meisten Fällen ziemlich schief. Im Internet finden sich Definitionen wie „Stabwerke, in dem sich die Stäbe nicht untereinander berühren, [sondern] lediglich durch Zugelemente […] miteinander verbunden sind“ [↗] oder „Tragwerkssystem, das in der Regel nur aus Stäben und Seilen besteht und ein stabiles, in sich geschlossenes System bildet“ [↗]. Ingenieurwissenschaftlich genau heißt es in einem Skript der TU Berlin: „Tensegrity sind Tragstrukturen, die aus einem kontinuierlichen System von Zugelementen und einem diskontinuierlichen Subsystem von Druckelementen bestehen“ [↗].
Solche etwas sperrig formulierten Begriffsbestimmungen hinterlassen oft jedoch mehr Fragezeichen, als dass sie die Sache klarer machen. Am ehesten leuchtet Tensegrity ein, wenn man sich das Prinzip visuell verdeutlicht – wie beispielsweise an der Floating Island. Die zwei transparenten Liftarme berühren sich nicht, dennoch wird die Insel in der Luft gehalten. Wie kommt es dazu? Das liegt an den fünf Seilen, die für Zugspannung sorgen und dem gesamten System aus Insel und Stadt damit Stabilität verleihen.
Auf den Punkt gebracht könnte man also sagen: Bei Tensegrity-Konstruktionen werden Bauteile, die sich nicht berühren, allein mithilfe von Seilen zusammengehalten. Dieser Effekt begegnet übrigens auch vielfach im Alltag. So beispielsweise bei Speichenrädern, dessen äußerer Ring durch die Speichen dazwischen stabilisiert wird. Selbiges bewirken die Fäden in der Aufschlagfläche eines Tennisschlägers.
Als Väter der Tensegrity werden oft der Architekt Richard Buckminster Fuller und sein Schüler Kenneth Snelson genannt, die den Begriff Ende der 40er Jahre erstmals formulierten. Während Letzterer das Prinzip hauptsächlich für künstlerische Zecke wie seine so genannten „X-Pieces“ verwendete, versuchte Buckminster Fuller Tensegrity für den Leichtbau weiterzuentwickeln. Ansprüche auf die Entdeckung macht jedoch auch der russische Künstler Karl Ioganson, der schon 1920 bei seinen Skulpturen drei Druckstäbe mit Seilen ins Gleichgewicht brachte. Tatsächlich scheint Tensegrity in den Kulturen der Welt aber schon weitaus früher bekannt gewesen zu sein: Bereits beim Bau von Kayaks bei indigenen Völkern und bei den japanischen Schiebetüren Shoji soll Tensegrity in abgewandelter Form schon verwendet worden sein.
Seit den 1960er Jahren fand die Konstruktionsweise in der Architektur verstärkt Anwendung, allen voran bei Stadiendächern wie bei dem der Spodek Arena im polnischen Katowice oder der Olympic Gymnastic Arena in Seoul. Am 4. Oktober 2009 wurde mit der Kurilpa Bridge in Brisbane, Australien die größte Tensegrity-Brücke der Welt eröffnet – 470 Meter misst das eindrucksvolle Bauwerk. In neuester Zeit kommt Tensegrity besonders in der Robotik zum Einsatz: Hier ist es vor allem die NASA, die versucht, leichtgewichtige Erkundungsrover zu bauen.
Tensegrity-Modelle aus LEGO sind beliebt
Trotz des Vorzugs, dass ihre Tragkraft mit steigender Größe schneller wächst als das Eigengewicht, konnte Tensegrity sich in der Architektur nie wirklich durchsetzen. Dafür fasste sie jedoch in der Kunst richtig Fuß: Skulpturen wie der vom Tensegrity-Pionier Snelson gebaute 30m hohe Needle-Tower faszinieren genauso wie kleine Dekoobjekte für den Schreibtisch.
Auch in der LEGO-Welt ist das Prinzip längst im Trend. Fans tüfteln schon seit geraumer Zeit an ausgefallenen Modellen, mit denen man allerhand Objekte zum schweben bringen kann: Sei es ein UFO, ein Drache, die Brücke aus dem Marvel-Set 76057 Bridge Battle, die Spider-Man allein mit dünnen Spinnenfäden vor dem Einsturz bewahrt – oder eben auch eine Insel in den Wolken. In diesem Video könnt ihr euch eine Zusammenstellung besonders gelungener Modelle anschauen.
Hier klicken, um den Inhalt von YouTube anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.
Wer einen Blick auf Seb_Es bisherige Einreichungen wirft, dem wird klar: Hier ist ein kreativer Kopf am Werk, der zeigen möchte, was mit den bunten dänischen Steinen alles möglich ist. Hauptsächlich geht es bei ihm jedoch rund zu – und das wortwörtlich. Ein Großteil seiner Entwürfe besteht nämlich aus runden Formen, wie seine Modelle einer Billardkugel, eines Globus, eines Fußballs, Drachen- und Ostereis.
Daneben beteiligt er sich rege an Wettbewerben, allein für den Vintage Car und Moments in Space Contest hat er mehrere Modelle eingereicht. Besonders gelungen: Seine mit Steinen gebaute Riesen-Minifigur und -Minidoll. Der Review-Einzug blieb ihm in den drei Jahren, die er nun auf der Plattform unterwegs ist, bisher jedoch verwehrt. Das änderte sich diese Woche prompt: Nach 427 Tagen ist für Seb_E mit der Floating Island der Ideas-Himmel so nah wie nie.
Ein Luftschloss bauen – das sagt man zu jemandem, der unrealistische, utopische Vorstellungen von einer Sache hat. Dieses LEGO-Luftschloss allerdings braucht sich nicht zu verstecken: Dass außergewöhnliche Mechanismen bei den Offiziellen nämlich auf viel Wohlwollen stoßen, haben das 21315 Pop-Up Buch und das 21305 Maze schon in der Vergangenheit bewiesen. So kann die Floating Island guter Dinge sein, nach dem Review bald auch in Richtung Verkaufsregale abzuheben.
3 Antworten
DIe Begründung mit den 5 Seilen ist auch nicht sehr einleuchtend. Anderer Ansatz:
Der Arm von unten trägt das Gewicht des Armes (und alles was dran hängt). Wenn man das Modell umbaut, dass die Wolkenstadt nach unten hängen würde, wäre hier das gleiche Gewicht zu tragen.
Der Aufbau erfolgt aber nach oben.
Das Gewicht ist erstmal getragen. Die 4 Stützseile sorgen nur dafür, dass es nicht aus dem Schwerpunkt fällt, sondern mittig bleibt.
Aber das ganze Gewicht trägt eben das mittlere Seil auf Zug.
Ich finde das MOC sehr gelungen! Respekt vor der tollen Idee und der phänomenalen Umsetzung! Dieses Set würde ich sofort kaufen, dafür würde ich sogar einen erhöhten IDEAS-Preis ohne zu zögern in Kauf nehmen. Es wäre auch ein super Modell für jede Schule, um den Kindern Wissenschaft anschaulich zu machen – und das in einer Form, die sie von zu Hause kennen und dort nachbauem können. Immerhin könnte man damit die EDUCATION-Serie wiederaufleben lassen. Auch wenn ich fürchte, dass LEGO es nicht wählen wird, hoffe ich sehr auf eine Umsetzung.
Ein toller Entwurf, falls dieses Set als Ideas Set verwirklicht werden sollte würde ich es mir sofort kaufen! Ist einfach mal was anderes, es zieht sofort interessierte Blicke auf sich!
In dieser gibt es einige tolle Modelle! Floating Island steht da (für mich) auf den oberen Plätzen! Es wäre schön, wenn LEGO pro Review Runde mehr als ein Set verwirklichen würde. Denn jetzt gibt es pro Runde mehr Sets, die die 10.000 Marke erreicht haben als noch vor ein paar Jahren!