„Freunde, die ihr hier versammelt seid!“ – Es waren diese eigentümlichen Worte, die am Anfang jedes LEGO Bionicle Films die Zuschauer in die mythenumschwangene Welt der Toa entführt haben. Und so wie damals diese Worte in die Filme eingeleitet haben, so soll es auch heute bei diesem Artikel heißen: Freunde, die ihr hier versammelt seid, lest noch einmal über die Legende von Bionicle.
Ich werde euch dabei auf eine kleine Zeitreise in die 2000er Jahre mitnehmen und Geschichten und ein paar wissenswerte Fakten über eine LEGO Themenreihe zusammentragen, die von manch älterem Fan vielleicht belächelt, bei meinen Altersgenossen aber immer noch als legendär gilt: LEGO Bionicle.
Biomechanical + Chronicle = LEGO Bionicle
Merkwürdige Roboter-Gestalten in schrillen Farben und mit merkwürdigen Fratzen: Sets, die nach allem, aber nur nicht LEGO aussehen. Das mag den meisten hier zu erst einfallen, wenn sie an LEGO Bionicle denken. Wer mit den Figuren nicht aufgewachsen ist, wird sich sicherlich noch heute fragen: Was um alles in der Welt waren diese Dinger? Mit Robotern liegt man eigentlich gar nicht mal so falsch, noch treffender aber wäre die Bezeichnung „biomechanische Wesen“. Das will uns schließlich schon der Name der Setreihe nahelegen: Bei „Bionicle“ handelt es sich um ein Kofferwort aus „Biomechanical“ und „Chronicle“.
Die Bionicle-Saga ist eine Geschichte von Gut gegen Böse, von Helden und Schurken, Legenden und Mythen. Allein schon die Ursprungsgeschichte hinter der Themenreihe liest sich teilweise wie ein Märchen. In den 1990er Jahren stand die Firma LEGO nämlich kurz vor dem Ruin. Die Verkäufe gingen stark zurück und so musste etwas Neues, Innovatives her, das die Firma aus der Abwärtsspirale bringen konnte: Star Wars!
Star Wars als Grundstein für Bionicle-Reihe
Richtig gelesen, es waren die Star-Wars-Sets aus dem Jahr 1999, die LEGO wieder in ruhige finanzielle Fahrwasser brachten. Doch Star Wars legte gewissermaßen auch den Grundstein für Bionicle. Denn LEGO erkannte die Stärken von so genannten Story-basierten Produkten, Sets, die nicht nur rein generisch waren, sondern Teil einer Geschichte, die Kinder nachspielen und erforschen konnten. LEGO Star Wars war da der erste zaghafte Schritt, doch die hohen Lizenzkosten der Sets schmälerten die Gewinne.
Deswegen brauchten die Dänen eine ganz eigene Themenreihe. Mit den Slizers von 1999 und den RoboRiders aus dem Jahre 2000 wagte LEGO den ersten Versuch mit Story-basierten Spielsets, doch waren die Disk werfenden Kreaturen und die anthropomorphen Bikes von vornherein nur als Überbrückung für die neuen LEGO Bionicle Sets gedacht, die zu diesem Zeitpunkt schon mitten in der Entwicklungsphase waren. 2001 war es dann soweit, als mit den Toa Mata die ersten Bionicle-Sets die Spielzeugläden stürmten und einen Boom auslösten, den sich LEGO wohl selbst nicht erträumt hatte. Die Sets gingen durch die Decke, schnell avancierten die Bionicle-Figuren zu den am meisten verkauften Produkten bei LEGO 100 Millionen Pfund brachten die Sets laut Telegraph allein im ersten Jahr ein.
Bone-Heads of Vodoo-Island
Entstanden ist Bionicle übrigens unter der dem Arbeitstitel „Bone-Heads of Vodoo-Island“. Ein Name, der schon damals den mythischen Charakter der Geschichte andeutet. Im Mittelpunkt der Saga stehen nämlich die Toa, legendäre Krieger, ausgestattet mit Elementarkräften und Masken, die ihnen zusätzliche, außergewöhnliche Fähigkeiten verleihen. Umfasste die Geschichte anfangs nur einen Schauplatz, die Insel Mata Nui, wuchs das Universum Jahr um Jahr um eine Vielzahl von Inseln, Charakteren und Spezies.
Jedes Jahr stand ein sechsköpfiges Toa-Team besonders im Fokus, das es auf ihrer jeweiligen Insel mit verschiedenen Bedrohungen und Antagonisten zu tun hatte. Ein roter Faden zieht sich dabei aber durch die gesamte Saga: Die Erweckung des „Großen Geistes“, Mata Nui. Wurde uns Mata Nui in den ersten Jahren noch als eine Art Gottheit eingeführt, stellte sich bald heraus, dass Mata Nui nur ein riesiger, steinerner Roboter-Körper war, eine Art Erkundungsraumschiff, in dem sich alle Inseln befanden und das durch den Oberfiesling Makuta Teridax zum Absturz gebracht wurde und das es für die Bewohner des Universums nun aus seinem Komazustand zu befreien galt.
Wenn ihr mich fragt, eine absolut ausgefallene Idee: Roboter, die in einem noch gigantischerem Roboter lebten, welcher durchs Weltall wandert. Gerade für diese skurrilen Einfälle war die LEGO Bionicle Saga bei Fans und Enthusiasten so beliebt.
Komplexe Geschichten
Die immer komplexer werdende Geschichte der Bionicle-Helden war mit der Hauptgarant für den enormen Erfolg der Setreihe. Mit Bionicle hat Lego zudem das Konzept der Multimedialität für sich entdeckt: Über zahlreiche Comics, Bücher, Videospiele und vier Filme konnten die Fans den Abenteuern der Charaktere folgen und in eine Welt der Legenden eintauchen. Allein durch Bionicle verzeichnete die LEGO Webseite damals durchschnittlich eine Million Zugriffe pro Monat.
Allerdings war es gerade auch die komplizierte Geschichte, die wohl mit für das Ende der Produktreihe im Jahr 2011 verantwortlich war. Zu dem Zeitpunkt war LEGO Bionicle für Neueinsteiger nur mit einem Fachlexikon zugänglich. Zu viele Fachwörter hatte die Geschichte hervorgebracht, die nur eingefleischte Fans und Nerds beherrschten: Kanohi, Krana, Rahi, Zarmor, Matoraner, Turaga, Koro, Wahi, Suva – um nur einige zu nennen.
Die Tatsache, dass wirklich jedes Set, jedes Kombimodell und jede Maske einen eigenen Namen hatte, machte die Sache nicht gerade leichter. Wer trägt nochmal die Kanohi Kaukau? Und spielt die Geschichte nun auf Voya Nui oder Metru Nui? Neue Fans ließen sich damit nur schwer gewinnen.
Begriffe aus der Sprache der Maori
Wo wir gerade bei den Namen sind: Vielleicht mag ja dem ein oder anderem Sprachenfreak aufgefallen sein, dass die vielen Bezeichnungen aus dem Bionicle-Universum ein wenig nach Pazifik-Sprachen klingen. Und tatsächlich: Besonders in den Anfangsjahren der Themenreihe wurden viele Begriffe aus der Sprache der Maori entlehnt. Ein Umstand, der der Firma LEGO bald eine Klage seitens der neuseeländischen Ureinwohner einbrachte. Mit Erfolg. LEGO war gezwungen, bestimmte Namen seiner Charaktere zu ändern: Aus Huki wurde Hewkii, aus Jala Jaller und die Tohunga, die „kleinen Roboter“, wenn man so will, wurden zu Matoranern. Andere Bezeichnungen blieben aber bis heute, wie „Kopaka“ für den Toa des Eises. Passend, denn tatsächlich bedeutet „kopaka“ in der Maori-Sprache so viel wie „Eis“.
So vielfältig wie die Namen, sind es auch die Teile, die uns die Sets im Laufe der Jahre bescherten. Mit den klassischen Noppensteinen hatten die Bionicle-spezifischen Teile eigentlich so gut wie nichts zu tun – einer der Gründe, warum Puristen wohl bis heute mit den Sets hadern. Bei LEGO Bionicle setzte man auf ein System aus Kugelgelenken, mit denen man Beweglichkeit erreichen konnte, die man von Minifiguren nur schwer kennt. Mit einer Reihe von Torso-, Bein-, Arm- und Fußteilen war es bald möglich, die ausgefallensten Charaktere zu bauen.
Auch typisch Bionicle: Seit 2004 waren die Figuren Jahr für Jahr stets mit neuen Schusswaffen ausgestattet, deren Bandbreite von Frisbees und Aufziehrotoren bis hin zu Luftdruckkanonen reichte (oder bioniclisch: Kanoka-Disks, Rhotuka-Rotoren und Cordak-Blaster). Die Bionicle-Teile schlechthin sind aber eindeutig die Masken, die es in einer Vielzahl von Varianten gibt und von denen einige begehrte Sammelobjekte sind: Eine verchromte Kanohi Hau beispielsweise kann manchem Sammler schon mal 30 Euro wert sein.
Die Absetzung der Bionicle-Reihe Anfang 2011 war für viele begeisterte Fans sicherlich einschneidend, aber vorhersehbar, nachdem man es im Jahr 2009 schon mit einer Art „Soft Reboot“ versucht hatte und die Haupthandlung weit weg von Mata Nui, auf einem gänzlich anderen Planeten versetzte.
Reboot von Bionicle war ein Flop
Die Nachfolgerserie „Hero Factory“ knüpfte zwar an das Konzept baubarer Action-Figuren an, blieb jedoch immer im Schatten des Originals. Und so war die Freude sicherlich groß, als für 2015 die Rückkehr von Bionicle angekündigt wurde. Doch statt mit der Geschichte dort weiterzumachen, wo sie aufgehört hat, setzte man 2015 komplett neu an. Zwar gab es alte Bekannte (die sechs Toa Mata), aber alles war doch irgendwie auch ein wenig anders. Toa hießen jetzt Meister, Matoraner Hüter. LEGO wollte es diesmal wohl vermeiden, dass sich LEGO Bionicle zu einer unzugänglichen Wissenschaft entwickelt. Erfolgreich war man mit dem Reboot aber nicht. Trotz Netflix-Serie und großer Kampagne wurde Bionicle nach zwei Jahren endgültig abgesetzt – wobei man ursprünglich auch für ein drittes Jahr geplant hatte.
Ein Erbe der „Generation 2“, wie sie Fans nennen, ist aber eindeutig ein komplett neues Bausystem. Und immer noch streiten Bionicle-Fans teilweise erbittert, welches von den beiden Bausystemen das bessere ist: Das alte, klassische oder das „Character and Creature Building System“, kurz CCBS. Während die alte Bauweise Technic-lastiger war und eine Bandbreite von neuen Teilen hervorbrachte, um Figuren eine bestimmte, neuartige Form zu geben, ist die CCBS-Bauweise mehr eine modulare: An ein skelettartiges Grundgerippe werden verschiedene Rüstungsteile angesteckt, um einer Figur schließlich ihr individuelles Aussehen zu geben.
Im Gegensatz zum alten System kann man CCBS-Figuren somit nur beschränkt ausgestalten, abhängig von ihrem Grundgerüst. Im alten System ließen sich die Teile dagegen unendlich oft zu einem neuen, komplexen Modell verknüpfen. Dafür wird vielfach aber behauptet, Figuren in CCBS-Bauweise sehen robuster, praller und mehr nach Action-Figur aus.
LEGO Bionicle lebt in Fan-Foren weiter
Debatten wie diese werden bis heute in den Bionicle-Fanforen geführt. Wer nämlich meint, LEGO Bionicle sei faktisch tot, der liegt gewaltig daneben. Auch wenn keine Sets mehr produziert werden, lebt die Legende gewissermaßen, Seiten wie „BZPower“ und der „TTV Channel“ sind immer noch erste Anlaufstellen für Bionicle-Fans. Erst kürzlich rief der TTV Channel sogar einen Bauwettbewerb aus, bei dem Fans ihre Vorstellungen von Charakteren, die nie als Set, wohl aber in der Geschichte erschienen, der Welt zeigen können.
Auch während der Blütezeit von LEGO Bionicle wurden vom Spielwarenhersteller Wettbewerbe veranstaltet, den Sieger-Modellen (und sogar Sieger-Zeichnungen) winkte die Ehre, dass ihre Werke zum offiziellen Aussehen der Charaktere deklariert würden. Dass den Fans auch die 2011 abrupt beendete Geschichte immer noch am Herzen liegt, zeigte sich auch an einem Format im damaligen LEGO Message Boards mit dem Titel „Ask Greg“. Dort konnten Fans den Hauptautor der Bionicle-Saga, Greg Farshtey, der federführend für den Großteil der Bücher und Comics war, ihre Fragen zu ungeklärten Mysterien der Geschichte stellen.
Bilanz: Knapp 450 Sets erschienen
Am Ende waren es 448 Sets und mit Bionicle verbundene Artikel (laut Bricklink), die die Produktionshallen von LEGO in Richtung Läden verließen. Zahlreiche Merchandising-Artikel wie Schulranzen, Stifte und ja, auch Turnschuhe mit gigantischen Masken nicht mitgezählt. Auch kurios: Von 2005 bis 2007 erschienen Bionicle-Spielsets aus klassischen LEGO Steinen, zusammen mit Bionicle-Minifiguren natürlich. Doch was viel mehr wiegt, ist der gigantische Einfluss, den Bionicle nicht nur auf meine Generation, sondern auch auf die Zukunft von LEGO hatte. Mit Bionicle entdeckte das Unternehmen Story-basierte Themenreihen für sich, und dass es heute Ninjago, Nexo Knights und Chima gibt, liegt sicherlich nicht minder an Bionicle.
Die Bedeutung kleinzureden, die Bionicle für LEGO hatte, wäre fatal und so hoffe ich doch, dem ein oder anderen knorrigen Bionicle-Haderer auch die spannenden Zeiten dieser einmaligen Themenreihe nähergebracht zu haben.