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GameStop Irrsinn auf Ideas: Videospielladen zieht in 3 Tagen ins Review

Inhaltsverzeichnis

GameStop – für die meisten ist das der kleine Videospielladen, der in Einkaufszentren sein Dasein zwischen Rossmann und dem lokalen Asia-Imbiss fristet, überteuerte Spiele verkauft und in dem man seine gebrauchten Games für unverschämt wenig Geld wieder loswerden kann. Seit Anfang dieses Jahres steht GameStop aber noch für weitaus mehr: Die Einzelhandelskette ist zum Schauplatz eines erbitterten Klassenkampfes zwischen Finanzelite und Kleinanleger geworden.

Groß war der Medienrummel, als die Aktie des Unternehmens im Januar 2021 in astronomische Höhen schoss und Hedgefonds und Investoren damit um Milliardenbeträge brachte. Die turbulente Geschichte von GameStop: Sie ist auch eine darüber, wie eine verschworene Internetgemeinde alles auf den Kopf stellen kann. Welch ungeahnten Kräfte sich hinter den Social-Media-Schwärmen verbergen, das durfte diesmal auch die LEGO-Community am eigenen Leib erfahren. Innerhalb von 3 Tagen wurde der Entwurf „GameStop Classic Shop“ ins Ideas-Review katapultiert und legte damit einen mindestens genauso rasanten Aufstieg hinter sich wie die Aktie des Unternehmens.

Und noch immer sitzen wir hier bei PROMOBRICKS und fragen uns, was wir von diesem Entwurf halten sollen. Denn seien wir ehrlich: Die Bautechniken waren bei diesem Modell sicherlich nicht für die Wahl ins Review ausschlaggebend. Irgendetwas zwischen schlechtem Scherz und Aktionskunst – da könnte man den „GameStop Classic Shop“ noch am ehesten einordnen. Zwar schreibt Designer MCHLN, sein Entwurf sei als Hommage an die berühmte Videospielkette gedacht, mit der er unzählige Kindheitserinnerungen verbindet, doch liest sich das vor dem Hintergrund der Ereignisse von Januar fast schon ein wenig ironisch.

Vor wenigen Tagen erst eröffnete der aus Berlin stammende Designer sein Nutzerkonto, machte sich aber jetzt schon unsterblich auf LEGO Ideas: Seine erste Einreichung stürmte in Rekordzeit ins Review. Reddit-Armee sei Dank. Ohne die Beihilfe der sozialen Plattformen wäre der Durchbruch nämlich wohl kaum möglich gewesen. Unter den Kommentaren zum Entwurf wird klar ersichtlich, dass der Großteil der Unterstützer sich erst vor Kurzem auf LEGO Ideas angemeldet hat, der saloppe Ton und die Ironie der Reddit-Revoluzzer ist auch hier unverkennbar. Nach fast 1000 Kommentaren und einigen verbalen Entgleisungen sahen sich die Ideas-Offiziellen sogar genötigt, den Kommentarbereich zu schließen.

Der Entwurf zeigt einen GameStop-Laden, wie man ihn kennt: Markantes schwarz-weiß-rotes Logo über dem Eingang, Verkaufsregale gefüllt mit Action-Figuren und eine Handvoll Wühlkisten, in denen man nach vergessenen Videospielperlen suchen kann. Drei bunte und schrille Minifiguren stehen als Schaufensterpuppen vor einer Glasfront und an der kleinen Kasse ist der Verkäufer bereit, abzukassieren. Designer MCHLN hatte eigentlich noch lauter Poster für die Wände vorgesehen, ließ sie für die Präsentation des Entwurf aber aufgrund des Ideas-Regelwerks zunächst weg.

Mit schickem und ausgefallenen Design zu überzeugen, das war nie das Ziel von MCHLN. Vielmehr ist der Entwurf ein LEGO-gewordenes GameStop-Meme, gespickt mit zahlreichen Anspielungen auf den Börsenskandal von Januar. Beispielsweise wäre da der blonde Anzugträger, der in grüner Farbe den Verlauf des Aktienkurses an die Wand pinselt. Die Minifigur stellt keinen Geringeren dar, als den Avatar des Reddit-Subforums WallStreetBets, jene Community, von der aus der Hype um die Aktie ausging. Der Affe, der auf dem Parkplatz herumtollt, steht für die Selbstbezeichnung der User als „Apes“, während der Hintergrund, der eine Mondlandschaft zeigt, eine Anspielung auf die im Börsenjargon geläufige Wendung ist, eine Aktie „to the moon“ zu schicken.

Es war schwer, den Hype um die GameStop-Aktie nicht mitzubekommen. Ende Januar überschlugen sich im Stundenakt die Ereignisse und es schien, als würde der kometenhafte Aufstieg des Wertpapiers keine Grenzen kennen. Doch was genau war da passiert?

GameStop – die Hintergründe

Eigentlich müsste man verrückt sein, um Aktien von GameStop zu kaufen. In Zeiten des boomenden Online-Handels sieht die Zukunft der US-Einzelhandelskette eher düster aus. 1984 unter dem Namen „Babbage’s“ gegründet, entwickelte sich GameStop zum führenden Einzelhändler für Videospiele und Hardware und betreibt heute knapp 7500 Filialen, darunter 1200 in Europa. Durch Missmanagement und Verschlafen der Digitalisierung geriet die Kette seit Mitte der 10er Jahre jedoch zunehmend in finanzielle Schieflagen: Innerhalb der letzten drei Jahre brach der Umsatz um 40% ein. Die Covid-19-Pandemie tat ihr Übriges – Finanzanalysten waren überzeugt, es wäre nur noch eine Frage der Zeit, bis GameStop pleite geht.

Ein so kriselndes Unternehmen ist an den Aktienmärkten für so genannte Shortseller gefundenes Fressen. Shortsteller oder auch Leerverkäufer, spekulieren auf den Fall eines Aktienkurses, um damit Gewinn zu machen. Konkret leihen sich Shortseller Aktien, die ihnen nicht gehören und verkaufen sie weiter. Bei fallenden Kursen können sie die verkauften Aktien aber wieder billig zurückkaufen und sie am Ende der Leihfrist wieder zurückgeben. Die Differenz aus Kauf und Verkauf entspricht dabei ihrem Profit.

Um sich das zu veranschaulichen: Stellt euch vor, ihr leiht euch von eurem besten Freund ein wertvolles LEGO-Teil aus, das ihr unbedingt für euer Bauwerk braucht. Ihr versprecht, dem Freund das Teil nach 3 Monaten wiederzugeben, wenn ihr euer Modell fertig gebaut und ausreichend Fotos geschossen habt. Nun habt ihr aber das Gerücht gehört, dass bald ein Set auf den Markt kommt, in dem jenes wertvolle Teil massenhaft vorhanden ist. Der Preis würde im Folgenden massiv sinken. Also entschließt ihr euch, das Teil auf Bricklink zu verkaufen und sobald das neue Set erscheint und der Preis fällt, jenes Teil günstig zu kaufen, damit ihr es eurem Freund rechtzeitig zurückgeben könnt. Ihr hättet damit einen Gewinn gemacht.

Ähnliches ist nun bei den GameStop-Aktien geschehen, mit dem feinen Unterschied, dass weitaus mehr Aktien leerverkauft wurden, als überhaupt vorhanden waren – unter Fachleuten nennt man dies „overshorted“. Die großen Hedgefonds waren so überzeugt vom baldigen Ende von GameStop, dass sie ganz ihrer Gier verfielen und massenhaft Aktien shorteten.

Und nun kommt Reddit ins Spiel, genauer gesagt der Subreddit WallStreetBets. Diese Subforum ist keineswegs eine seriöse Austauschplattform für Börsenspezialisten, sondern viel mehr ein Sammelbecken von Hobbyinvestoren, Laienanlegern und Menschen mit Lust auf Radau. In Beiträgen, die selten über pubertäres Niveau hinausgehen, bejubeln und lachen sich die Nutzer hier gegenseitig für hohe Gewinne und Verluste aus. Im Sommer 2019 legte der Nutzer und ehemalige Finanzanalyst Keith Gill aka Deep Fucking Value aka Roaring Kitty den Grundstein für das, was anderthalb Jahre später zu einem der größten Börsenskandale der Geschichte werden sollte. In einem Post stellte er mit sehr ausführlichen Analysen dar, dass die GameStop-Aktie unterbewertet ist und entgegen aller Erwartungen im Wert sehr wohl steigen wird.

Er sollte Recht behalten: Als der mit Onlinegeschäften erfahrene Ryan Cohen im August 2020 bei GameStop einstieg und Pläne vorlegte, den Internet-Handel des Unternehmens auszubauen, erhöhte sich das Vertrauen in die Kette und der Aktienkurs stabilisierte sich. Doch noch immer waren die Aktien des Unternehmens extrem leergekauft – um genau zu sein, war GameStop das Unternehmen mit der höchsten Leerverkaufsquote überhaupt an den US-Börsen. Als diese Information zu WallStreetBets gelangte, machte sich eine gewisse Revolutionsmentalität breit. Die Nutzer sahen sich als Krieger in einem Kampf gegen das Finanzkapital und riefen dazu auf, massenhaft Gamestop-Aktien zu kaufen – denn das erhöht den Aktienkurs und würde die großen Hedgefonds, die ja eigentlich auf fallende Kurse spekulierten, mächtig eins auswischen.

Bei rapide steigenden Kursen ohne Sicht auf einen Fall der Aktie muss sich ein Shortseller schnell eindecken, um den Verlust so gering wie möglich zu halten. Das Problem ist nur, dass nahezu keine GameStop-Aktien im Umlauf waren. Diese Angebotsknappheit führt zu einem enormen Kaufdruck bei den Shortsellern. Die findigen Reddit-User gaben ihre Aktien jedoch nicht her. „Hold“ wurde fast zu einem Schlachtruf der Nutzer in ihrem Aufbegehren gegen die Finanzwelt. Bei nur wenigen Verkaufswilligen schießt der Aktienpreis in die Höhe: In der Spitze war die Gamestop-Aktie satte 480$ wert. Die großen Hedgefonds machten Verluste in Milliardenhöhe, Melvin Capital war sogar auf eine Finanzspritze von 2,75 Milliarden US-Dollar angewiesen.

Und mit dem Ideas-Entwurf fand der GameStop-Wahnsinn nun auch seinen Weg auf die Ideas-Plattform. Das Modell mag zwar nie umgesetzt werden, doch eins verdeutlicht es uns eindrücklich: Ein Subreddit kann eine mächtige Waffe sein.

Übersicht zu den Entwürfen der 2. Review-Phase 2021

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Kommentare

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5 Antworten

  1. Schöner Beitrag in dem es wie beim Entwurf um mehr geht als Lego. Oder besser gesagt um was anderes.

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  2. Interessanter Artikel und gut geschrieben! Vor allem die Herleitung warum dieses Set so gehypt wurde finde ich gut gemacht auch wenn es keine Chance auf eine Umsetzung hat – was ich begrüße – zeigt es doch was soziale Medien „anrichten“ können.

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    1. Sehr schöner Artikel, Arnie.
      Leider richten die sozialen Medien solche IDEAS-Hypes nicht nur bei diesem Set, sondern auch bei vielem anderen Schrott an, der bei IDEAS hochgeladen wird. Das Ergebnis ist immer dasselbe: 10.000+ für echt miese Entwürfe. Bei einem Set (ich weiß nicht mehr, bei welchem), gab es sogar einen Zeitungsartikel und das Teil zu promoten.

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