Trifft ein Paläontologe einen LEGO-Fan. Nein, das ist nicht der Anfang einer schlechten Kalauer. So oder so ähnlich könnte man nämlich den Inhalt eines Buches zusammenfassen, das der HEEL-Verlag dieser Tage jüngst veröffentlicht hat: „DINO Bricks“ von dem französischen Dinosaurier-Experten Florent Goussard und LEGO Fotografen Aurélien Mathieu, bei seinen Fans besser bekannt als „Shobrick“. Der UVP liegt bei knapp 20 Euro.
Wir hatten die Gelegenheit, das ungewöhnliche Buch für euch etwas Näher anzuschauen. Vielen Dank an den HEEL-Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars.
Der HEEL-Verlag bringt dabei nicht zum ersten Mal ein LEGO-basiertes Sachbuch auf den Markt. Mit Titeln wie „Bau dir deine LEGO Ritterwelt“ und „Tricks für Bricks“ hat der Verlag zuletzt schon gelungene Bücher rund um unsere Lieblings-Klemmbausteine herausgebracht.
Sachbuch über Dinosaurier
„DINO Bricks“ sticht in dieser Reihe jedoch hervor. Denn im Vergleich zu den anderen Büchern geht es gar nicht mal um LEGO im Speziellen: Tatsächlich ist das Werk ein reines Sachbuch über Dinosaurier.
Wer Infos über die verschiedenen LEGO Dinosaurier-Serien erwartet hat, hat hier wohl zum falschen Buch gegriffen. Mit den Stecksteinen aus Dänemark hat der frisch promovierte Goussard so rein gar nichts am Hut, seine Welt sind die staubigen Knochen und Gebeine längst ausgestorbener Urzeitechsen. Ein Glück jedoch, dass er sich mit Regisseur, Drehbuchautor und LEGO-Fotograf Aurélien „Shobrick“ Mathieu zusammengetan hat: So ist hier kein weiteres herkömmliches Dinosaurier-Buch entstanden, sondern ein in dieser Hinsicht einzigartiges Werk.
Als Illustrationen für Goussards Texte verwendete Shobrick nämlich aufwändig konstruierte Szenen mit LEGO Dinosauriern und -Minifiguren. Und die machen eindeutig den Reiz dieses Buches aus – man ist sogar versucht zu sagen, Mathieu stiehlt dem Paläontologen in diesem Werk die Show.
Aufwendig mit LEGO in Szene gesetzt
Wie akribisch und mit welch hohem Grad an Perfektion Shobrick seine Kulissen zusammenstellt, ist einmalig. Als ich das Buch zum ersten mal in der Hand hatte, ist mir gleich das Minifiguren-Paar auf der Rückseite des Umschlags ins Auge gefallen. Shobrick scheut sich nicht, die Gesetze der LEGO Welt zu brechen, um seinen Bildern eine unglaubliche Lebhaftigkeit und Dynamik zu verleihen. Nie zuvor habe ich gesehen, wie jemand den starren, doch sehr unbeweglichen Minifiguren so viel Leben einhauchen kann.
Ob die zwei weißen Allosaurier, die genüsslich ein Stück Fleisch verzehren oder die langhalsigen Brachiosaurier, die majestätisch auf eine Lichtung hervortreten: Shobrick ist Künstler genug, um uns mehr zu liefern, als bloße schematische Darstellungen von prähistorischen Echsen. Er versteht es, diese Wesen ehrwürdig und faszinierend erscheinen zu lassen – und das allein mit Plastik-Spielzeug.
Besonders angetan hat mich persönlich das Foto vom Mossasaurier, dem Urzeit-Seeungeheuer. Nicht nur, weil man stundenlang darüber rätseln kann, wie Mathieu dieser geniale Schnappschuss gelungen ist, sondern auch, weil das Bild eindrucksvoll zeigt, wer hier einst die wahren Könige der Erdgeschichte waren.
Im Anhang des Buches meint Paläontologe Goussard, man vergesse schon fast, dass es sich hierbei um LEGO Dinosaurier handelt. Ein Satz, den man nur unterstreichen kann. Die vielen Details, der virtuose Umgang mit Licht und Effekten lassen die Bilder so real wirken, man verliebt sich einfach in die verbissene Arbeit des Franzosen. Es fällt immens schwer, ein besonders gelungenes Bild zu nennen, weil einfach jedes Foto außergewöhnlich gut geworden ist. Wer sich an Shobricks Arbeit nicht sattsehen kann, dem sei an dieser Stelle sein Flickr-Album ans Herz gelegt.
Was ihr über Dinosaurier schon immer wissen wolltet
Überhaupt ist das Buch in gestalterischen Belangen meisterlich gelungen: Neben Shobricks Fotos bringen uns verspielte, bunte Grafiken die Welt von T-Rex, Brachiosaurus und Pteranodon näher. Mit Diagrammen über Größenvergleiche und Abbildungen von Knochen bekommt man nach und nach genauere Vorstellungen von einem Leben aus längst vergangenen Erdentagen.
Nach ein paar kleinen Einführungskapiteln über die Entstehung von Fossilien, die Arbeit als Paläontologe und einer Erläuterung der Erdzeitalter, beginnt sodann das, was man als große Dino-Parade bezeichnen kann: Dino-Art für Dino-Art nimmt sich Goussard vor und beschreibt ausführlich Besonderheiten, Fundstätten und andere Charakteristika der Urtiere.
Auch den Luft- und Meeresbewohnern ist ein eigenes Kapitel gewidmet, bevor schließlich eine letzte Ausführung über das Aussterben der Dinosaurier folgt. Auf den letzten Seiten geben Goussard und Mathieu in Interviews noch Einblicke in ihre Arbeit und die Entstehung des Buches. Wer genug vom Lesen hat, kann sich mit dem Bauen eines Triceratops vergnügen, für den es im Buch eine Anleitung gibt.
Was die Detailversessenheit angeht, hat Paläontologe Goussard dabei eins mit Shobrick gemeinsam. Der Franzose ist nämlich ein wahrer Dino-Nerd, und das merkt man seinen Texten an. Sicher, seine Texte sind informativ und wer sich leidenschaftlich für Dinosaurier begeistert, wird von Monsieur Goussard eine Menge lernen.
Den Satz vom Buch-Cover „Für große und kleine LEGO Fans“ sollte man jedoch wortwörtlich nehmen, denn in Manier des Wissenschaftlers lesen sich Goussards Texte stellenweise ein wenig verkrampft und zu fachsprachlich, als dass kleine Dino-Fans allein den Durchblick kriegen. Das ständige Einwerfen von komplizierten lateinischen Wörtern, die auf -saurier oder -saurus enden, wird einem nach der Lektüre des Buchs zwar nie wieder ein Scrabble-Spiel verlieren lassen, artet in Goussards Fall aber manchmal ein wenig aus, wenn Satzungetümer wie der folgende auftauchen:
„Die Cerapoda stellen eine wichtige Untergruppierung der Ornithischier dar und ähneln den Ceratopsidae (wie dem Triceratops) und den Pachycephalosauriden (wie dem Pachycephalosaurus), die zu den Marginocephalia zählen und eng verwandt sind mit den Ornithopoden (wie dem Iguanodon) oder auch dem Hadrosauriden Parasaurolophus.“
DINO Bricks: Fazit
Dennoch: Interessante Fakten bietet das Buch im Übermaß und wo aufgrund der beschränkten Bandbreite an LEGO Dinosauriern eine Illustration nicht möglich war, half man sich mit einer Zeichnung aus. Hier kommen wir aber auch schon zum nächsten Problem des Buches: Man hat das Gefühl, dass Goussard und Mathieu eigentlich auch gut ohne einander auskommen könnten. Wenn nämlich zwei solch verschiedene Welten wie das Dino- und LEGO Universum aufeinandertreffen, läuft man immer Gefahr, einen merkwürdigen Zwitter zu schaffen.
Und tatsächlich: Goussard kann im Prinzip auf die LEGO Bilder vollkommen verzichten. Die meiste Zeit dienen sie eh nur als Cover für die einzelnen Kapitel, wo es weiter ins Detail geht, sieht man ausschließlich Zeichnungen. Damit stellen sich jedoch die Fragen: Würde der Dino-Fan, wenn er mehr über seine Lieblings-Echsen herausfinden will, dann nicht eher zum herkömmlichen „Was ist Was“-Dino-Buch greifen? Und würde der LEGO Enthusiast, statt die Texte nur mit halbem Interesse zu lesen, sich nicht lieber einen ganzen Kunstband mit LEGO Fotografien ansehen?
Eigentlich schon. Wir können trotzdem sehr froh sein, dass Goussard und Mathieu sich für dieses Projekt zusammengetan haben. Ja, ihr Werk ist eine skurrile Mischung aus Dino-Sach- und LEGO-Kunstbuch. Aber gerade weil sich die beiden sehr harmonisch ergänzt haben, wurde hier etwas geschaffen, was sich vom Rest der zahllosen Dino-Buchpublikationen abhebt.
Statt wie die meisten ihrer Vorgänger nur müde über Dinosaurier zu referieren, gelingt ihnen ein großer Trumpf: Die längst vergangene Dino-Welt endlich greifbar zu machen. Nein, die Dinos sind nicht ausgestorben, schreit es aus diesen Seiten. Sie leben. Im Kinderzimmer. Die prähistorische Welt liegt vor unseren Füßen, sie ist jederzeit betretbar. Und dazu braucht es nur ein paar LEGO Steine.
Punktsieg für die LEGO Welt also.